Sind Erntehelfer*innen Menschen zweiter Klasse?

Barnstorf, 10.05.2021

Der Landkreis Diepholz meldet heute 49 Neuinfektionen, davon entfallen 10 weitere auf den Spargel- und Erdbeerhof Thiermann. Damit wurden insgesamt 130 Personen von ca. 1200 Beschäftigten aus diesem Betrieb positiv getestet.

Die positiv getesteten Erntehelfer*innen befinden sich in Quarantäne. Für die nicht infizierten Erntehelfer*innen hat der Landkreis eine sogenannte Arbeitsquarantäne angeordnet, diese Menschen müssen weiterhin ihrer Arbeit nachgehen. Normalerweise sind Arbeitnehmer*innen, die sich in Quarantäne befinden von ihren Tätigkeiten befreit und erhalten weiterhin Lohnfortzahlung. Für Erntehelfer*innen gelten allerdings Ausnahmebedingungen. Warum ist das so? Ist die Ernte von Spargel und Erdbeeren systemrelevant oder stehen die wirtschaftlichen Interessen eines Großbetriebes imVordergrund?

Die Gesundheit der Arbeiter*innen spielt augenscheinlich nicht die wichtigste Rolle. Anfangs wurde von der Kreisverwaltung sogar versucht den Coronaausbruch herunterzuspielen, da es sich um eine nicht öffentliche Einrichtung handele und das Infektionsgeschehen sich auf einen Betrieb beschränke. Die gemeldeten Fälle sollten nicht in die Bewertung für den Landkreis Diepholz einbezogen werden, die „singuläre Hotspots“ sollten herausgerechnet werden, da Saisonarbeiter*innen rechtlich keine Einwohner*innen des Landkreis Diepholz seien.

Der Kreisvorstand und die Kreistagfraktion von Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Landkreis Diepholz nehmen mit Besorgnis zu Kenntnis, dass durch die Berichterstattung und die Darstellung der betrieblichen Umstände ein öffentliches Bild gezeichnet wird, in dem die Erntehelfer*innen zu Sündenböcken gemacht werden. Sie werden nämlich für die nun für die hohe Inzidenz im Landkreis und die dadurch verursachten Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen verantwortlich gemacht. Auch im öffentlich ausgestrahlten Interview von N3 wird vom Landrat Cord Bockhop einseitig die Ursache „nachlässig“ mit den Vorschriften umgehenden Saisonarbeiter*innen zugeschoben.

Das wollen die GRÜNEN nicht so stehen lassen!

Die Arbeitsbedingungen für osteuropäische Saisonarbeiter*innen und Erntehelfer*innen stehen nämlich nicht erst seit der Corona-Pandemie in der Kritik. Lohnabzüge, schlechte Unterbringungsbedingungen, mangelnde Versicherungen sind nur einige der Vorwürfe, die immer wieder erhoben werden und auch im Landkreis Diepholz Thema sind.

Eigentlich schreibt der Gesetzgeber vor, dass anstellende Betriebe ausländische Arbeitnehmer*innen ebenso anmelden, sozialversichern und Beiträge für sie zahlen müssen wie für deutsche Arbeitskräfte. So ist es in einer EU-Verordnung von 2004 festgehalten. Wenn die Saisonarbeitskräfte als sogenannte kurzfristig Beschäftigte angestellt sind, gilt die Regelung jedoch nicht. Solange sie nicht mehr als drei Monate im Jahr beschäftigt sind, müssen die Landwirte demnach keine Sozialversicherungsbeiträge für die Saisonarbeitskräfte zahlen.

Im Zuge der Corona-Pandemie wurden die Regelungen für kurzfristig Beschäftigte noch einmal ausgeweitet. Seit einem Beschluss vom März 2020 dürfen Erntehelfer*innen fünf Monate im Jahr sozialversicherungsfrei in Deutschland arbeiten. Das heißt, die Arbeitnehmer *innen müssten sich dann theoretisch selbst eine Versicherung organisieren und bezahlen. Doch es erfolgt keine Kontrolle, ob es diesen Versicherungsschutz tatsächlich gibt – und keine Zahlen dazu.

Aber aktuell werden die Erntehelfer*innen durch die Polizei und einen eigens angestellten Sicherheitsdienst überwacht und kontrolliert. Wer finanziert diese eigentlich?

Die Grünen fragen sich, ob die Gesundheits- und Arbeitsbedingungen auf dem „Betrieb mit Sonderkulturen“ auch schon vor dem Ausbruch der Corona-Erkrankungen so engmaschig durchgeführt wurden. Oder hat man sich hier allein auf die Aussagen der Betriebsleitung verlassen? Eine Hygienekonzept ist schnell geschrieben, auf die tatsächliche Umsetzung kommt es an und dies ist unter den genannten Arbeitsbedingungen schwer möglich.

Statt Betriebe umzurüsten, für Unterkünfte zu sorgen, in denen Hygienemaßnahmen eingehalten werden können, strengere Kontrollen durchzuführen und Arbeiter*innen durch eine Sozialversicherung abzusichern, werden Sonderregeln umgesetzt, die zu Lasten der erkrankten und ausgebeuteten Erntehelfer*innen gehen. Das muss sich ändern, fordern die Grünen auf Kreis-, Landes- und Bundesebene.